Sonntag, 5. Oktober 2008

Hua Shan - 5000 Stufen auf das Dach der Welt

Leise pfeift der kalte Wind um meine Ohren. Weiter höre ich nichts. Fast nichts, lediglich das leichte Schnaufen der 8 anderen und das Stapfen der Stiefel auf die Stufen aus Stein. Treppen, nichts als Treppen und Nebel. Schon seit 4 Stunden steigen wir den Hua Shan hinauf, den heiligen Berg der Daoisten. Großartige Aussichten, atemberaubende Abgründe und Treppen steil wie Leitern hatte man uns angekündigt. Tausende chinesische Touristen hatten wir erwartet - bereit, die mystischen Dimensionen der Landschaft in sich aufzusaugen. Doch was finden wir vor? Einen Aufstieg durch dichte Wolken und nasskalten Regen. Wir sehen nichts - und das bei irritierender Stille und Einsamkeit. National Holiday? Massenhype? Auf jeden Fall nicht hier. Ermüdung und frustrierte Entäuschung macht sich in der Gruppe breit. Es dämmert bereits als uns die einzigen chinesischen Begleiter eröffnen, dass es wohl oben keine Übernachtungsmöglichkeiten gibt. Die Stimmung droht zu kippen. Es ist der zweite Tag unserer Reise, nachdem wir am Vortag Xi'an erkundeten. Haben wir uns dafür die 2 Stunden aus der Stadt und die 5000 (!) Stufen den Berg hinauf geschleppt? Ich bekomme langsam ein schlechtes Gewissen, weil ich das Ziel vorgeschlagen und als brilliant angepriesen hatte. Noch 20 Stufen sind es bis zur nächsten kleinen Plattform. Keiner ist mehr richtig motiviert, denn was will man mit einer weiteren Ausicht ins Nichts? Doch wie so oft kommt es anders.

In dem Moment, wo Johannes, Daniel und ich als erste die Plattform erreichen, reißt die Wolkensuppe schlagartig auf. Uns präsentiert sich ein umwerfender Anblick. Wir blicken von oben auf die Gipfel der Qinling Bergkette und die Wolkendecke über der südlichen Sha'anxi Provinz. Über die Gipfel sind verstreut einzelne kleine chinesische Klosterdächer zu sehen, die dem Anblick einen mystischen Hauch verleihen. Die Sonne ist im Begriff unterzugehen, der Himmel färbt sich in prächtigen Farben. Der Anblick entschädigt für alle Strapazen - aus Entäuschung wird adrenalingetränkte Euphorie.
Und wie es der Zufall so will, gehört die Terasse zu einem kleinen Hostel, in dem wir einen kalt-klammen, aber netten Unterschlupf finden. Im Hostel findet später noch eine kleine Fön-Party statt :). Dazu gesellen sich nicht nur 9 nasse Wanderer, sondern spontan auch noch die Bediensteten des Hauses um sich die frisch gewaschenen Haare mit unseren mitgebrachten Fönen zu trocknen.
Am nächsten Morgen brechen wir um 5 Uhr im Dunkeln auf, um den östlichen Gipfel zu erlkimmen. Die Stimmung unter den Besuchern ist freundlich und fast familiär - wir treffen die Leute aus dem Bus aus Xi'an mindestens ein Dutzend mal wieder. Oben auf dem Gipfel ist es noch immer Dunkel, nur schemenhaft kann man die Umgebung erkennen. Es herrscht gespannte Vorfreude unter den paar Dutzend Neugierigen. Mit dem Licht kommt langsam die Gewissheit: Die Sicht ist gut! Man erkennt in der Dämmerung einen unglaublichen Ausblick auf viele Kilometer aus Bergen zwischen denen sich eine Wolkendecke watteähnlich ausgebreitet hat. Wir befinden uns auf einer überhängenden Klippe, die 500 Meter senkrecht in die Wolkendecke hinabfällt. Mir kommt in diesem Moment der Gedanke, dass man diesem Ort auch wohl den Namen "Dach der Welt" verleihen könnte. (Ironischerweise wird so ja Tibet bezeichnet, unser ursprüngliches Ziel der Reise...) Guido gelingt es mit seiner Kamera, 2 Eindrücke dieses Anblickes aufzunehmen.

Doch das Schicksal war uns nicht Freund in diesem Moment: Mit dem Sonnenaufgang ziehen Wolken auf den Ostgipfel. Wir sitzen komplett in der Suppe! Das bleibt leider auch so - zwar war die Stimmung immer noch gut, aber ein bisschen wehmütig sind dennoch alle, als es wieder runterging.
Auf dem Rückweg werden wir dann noch Teil der Traditionen, welche die chinesische Bevölkerung mit dem Berg verbindet. Wir haben uns auf dem Hinweg kleine Vorhängeschlösser mit roten Bändern gekauft. Diese haben wir graviert (ich habs machen lassen...) und hängen sie nun an den jeweils vorgesehen Ort um Reichtum oder Liebesglück zu erlangen :). Die riesigen Mengen von Schlössern und roten Bändern tauchen lange Stücke des Weges in ein sehr intensives Rot. Auch wenn es sich so anhört, wirkt das Ganze irgendwie authentisch. Weiterhin ist es hier üblich, dass sich wichtige chinesische Persönlichkeiten mit Schriftzeichen in die Felswände verewigen, und das schon seit Jahrhunderten. Irgendwie toll, wie hier Traditionen gelebt werden.
Als wir weiter unten sind, klart es langsam auf und das Wetter wird schön. Prompt kommen uns auch Ströme chinesischer Touristen entgegen. Wer jetzt meint, das sich hier nur sportliche Männer hochwagen, wird schleunigst eines besseren belehrt. Egal ob jung oder alt, Frau oder Mann, ganz egal. Ich komme mir in dem Moment ziemlich feige vor: Bei der 1000-Steps-Treppe am Vortag ging mir ganz schön die Sause...und jetzt kommen mir da walnußgesichtige Damen entgegen, die den gleichen Weg gegangen sein müssen. Ich hab mich getröstet und gedacht: Die Chinesen haben irgendwie ein anderes Gefühl zu Treppen steigen und vor allem zur Höhe. Während wir uns auf dem letzten schweren Stück Aufstieg sogar auf der leichten Variante, der 6-8m steilen Leiter mit anschließendem Überhang, ziemlich ängstigten, schwang sich neben uns ein kleines Mädchen in Sportschuhen die senkrechte Wand hinauf, einzig gesichert durch den galanten Griff in die Maschen einer rostigen Eisenkette.
Ein bisschen Meschugge von der ganzen Rumkletterei nehmen Guido, Johannes, Flo, Ulli und ich den leichten "Abstieg" mit der (österreichischen) Bergbahn, während sich Stefan, Daniel und Micha todesmutig den höllisch steilen "Soldier's Path" hinunterwagen.

Jetzt kommen noch ein paar Schnappschüsse und Panorama-Aufnahmen:
(Zum Vergrößern draufklicken)
Der Aufstieg beginnt - das Tor zum Pfad.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

du glaubst garnicht wie unglaublich genial sich das für mich anhört...aber externes rewe macht auch spaß!!! ;D