Montag, 13. April 2009

Der Ausländerbonus

Wütend schubse ich aus dem Weg, was sich mir in den Weg stellt. Überall Körper, stinkende Körper die mich berühren, dazu Lärm, Gerede, Kindergeschrei. Es ist so eng, dass sich die Menschen zu einem waberigen Etwas zusammen gedrückt haben. Es ist so heiß, dass man es kaum aushält. Ich will hier raus, ich muss hier raus! Adrenalin schießt mir ins Blut: Niedere Instinkte werden wach und lassen mich auf nichts mehr Rücksicht nehmen, sei es die 90 Jahre alte Frau oder das kleine Kind. Was ist hier los? Wo bin ich hier gelandet?

Um diese Geschichte zu erzählen muss ich etwas weiter ausholen. Die Verkehrsituation in China ist im Normalfall mit dem Wort "chaotisch" ganz gut beschrieben. Immer mehr Menschen haben das Bedürfnis sich fortzubewegen, viele haben in jüngster Zeit durch den Aufschwung die finanziellen Mittel dazu erhalten. Dazu kommt ein Volk von hunderten Millionen Wanderarbeitern, die fern von Zuhause ihre harte Arbeit verrichten. Die chinesische Bahn ist für die meißten die einzige Möglichkeit, lange Strecken zurückzulegen. Und sie ist trotz ihres guten Netzes auch im Alltag völlig überlastet. Fast jeder Zug ist bis auf das letzte Ticket ausverkauft - am selben Tag noch welche zu bekommen ist in der Regel sehr schwierig.

Zugtickets im Vorraus zu kaufen ist äußerst schwierig. Es geht grundsätzlich nur max. 10 Tage im Vorraus, dazu nur in den Städten der Abfahrt und Ankunft.

Schließlich gibt es das chinesische neue Jahr, in diesem Jahr Ende Januar, Anfang Februar. Die Tradition besagt, Arbeiter kehre zu deiner Familie heim! China hat in der Woche Volksferien, das heißt jeder nicht selbständige hat Urlaub. Was das für das Verkehrsnetz bedeutet (welches meines Wissens keine Sonderzüge bereitstellt!), kann man sich ausmalen. Geschätzte 400.000.000 Menschen wollen in dieser Zeit von A nach B, von B nach C oder umgekehrt.

So auch wir, als wir am Samstag dieser Woche im Januar die Strecke Huaihua nach Kunming zurücklegen wollten. Es gab riesige Schlangen an den Ticketschaltern. Doch als Ausländer genießt man hier einen Stand über dem normalen Pöbel - wir durften an der Schlange vorbei. Doch gab es nur noch Stehplatz-Tickets bis zur halben Strecke (Guiyang). Ok dachten wir, wenn es sein muss. 7 Stunden - es wird schon irgendwie gehen, denn soviele Steh-Tickets werden die schon nicht pro Waggon verkauft haben.

Da haben wir die Rechnung wohl erst ohne, dann mit der chinesichen Bahn gemacht. Denn zunächst fanden wir uns in einem Abteil, in dem auf jeden Sitzplatz nicht nur 1, sondern wohl 10 Stehtickets verkauft wurden, weiterhin waren es wohl hauptsächlich sehr arme Leute, denn ein gewisser Eigenduft und ein immenser Lärmpegel war ihnen nicht abzusprechen. Der absolute Horror, darin hätte ich wohl die 7 Stunden nicht überlebt. Doch dann kam er wieder, der allgegenwärtige Ausländerbonus: Anscheinend werden Tickets, die nicht angetreten werden, nicht neu verkauft, sondern einfach einbehalten. Paul wurde von einem Schaffner beim verzweifelten Versuch, in das Abteil zu kommen, angesprochen. So konnten wir auf 4 Betten im Zug verteilt "aufbuchen", ohne Zusatzkosten einfach Sleepertickets kaufen... Was für ein Segen! Trotz einem enorm schnarchenden Chinesen neben mir war es wohl die gemütlichste Nacht meines Lebens.

Von Zugfahren

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