Mittwoch, 14. Oktober 2009

Japan Weekly

Ein Fernseher, begehbare Schränke mit Schiebetüren und 4 traditionelle Tatami-Matten als Bett- Mein Wohnheimszimmer.
"Huuuuntela Jooorn - San",
liest der Japaner mittleren Alters, vor mir stehend, den Addressaten des Briefes in seinen Händen ab. Er steht mit mir in der Lobby eines der Wohnheime der Firma, und versucht mit Händen und Füßen zu erklären was ich mit eben jenem, enorm wichtigen, Umschlag nun anzufangen habe. Es handelt sich um den Herbergsvater - der sich keine Mühe scheut den ihm Anvertrauten das Leben leicht zu machen. Ich verstehe von seinem Japanisch natürlich so gut wie nix, ausser "Intanetu" und "Modemu" und das letzteres mir nun Zugang zu Ersterem verschaffen soll.

Das San macht aus der japanisierten Version meines Namens ein "Herr Hünteler Jörn", in der für hier richtigen Reihenfolge mit dem Nachnamen zuerst. San's habe ich schon viele kennengelernt. Da die meisten Namen mit -moto und -gawa enden, ist es mit dem Einprägen noch nicht weit her. Erinnerungen an die ersten Tage in China werden wach, als die Namen ins eine Ohr rein, ins andere Ohr wieder rausflogen.

Praktikum ist der Grund meines erneuten Aufenthaltes in Japan. 10 Wochen in einer japanischen Firma, als einziger Gaijin (=Ausländer) weit und breit. Was mich dazu trieb? Das verlockende Angebot, die Arbeit aus China in Yokohama für Geld weiterzuführen. Wer würde da Nein sagen?

Zurück zu Owaki-San, dem "netten Mann im Wohnheim". Vater mag andeuten, dass es in solchen Firmen-unterkünften in der Regel jung zugeht. Doch weit gefehlt - hier wohnen nicht etwa Auszubildende, sondern "Angestellte, die entweder ledig oder mit einer Frau verheiratet sind, die es ihnen nahelegt die Woche im Firmen-nahen Wohnheim zu verbringen", wie es Ayako ausdrückt, als wir uns in Yokohamas China-Town über japanischen Arbeitswahn und die Vorherrschaft der Frau in der Familie unterhalten.

Großraum Tokyo (37.2 Mio Einwohner) ...

...sowie das Ruhrgebiet (oben) und Köln (unten; zusammen ca. 7 Mio.) im gleichen Maßstab zum Vergleich.

An dieser Stelle, und wohl auch zuvor beim Wort "erneuten Aufenthalt" wird sich der geneigte Leser fragen, auf wann sich dies bezieht und wo die japanischen Bekanntschaften herkommen. Fear in Loathing in Tokyo, Juni 2009, lautet das Stichwort. Der Blog hat davon leider nie etwas erfahren, was nicht zuletzt am wochenlangen Schlafdefizit nach Rückkehr nach Peking gelegen haben mag. Damals blieben mir, als ich am Flughafen verzweifelt mit meiner unsäglichen Müdigkeit dem Automatenkaffee in den Schlaf zu entkommen, folgende Erkenntnisse:

- Wenn du jemals dachtest, es wäre laut - denke zurück an die Patchinko-Spielhölle
- Wenn du jemals dachtest, es wäre voll - denke zurück an den Bahnhof von Shinjuku (täglich soviele Passagiere wie die gesamte deutsche Bahn), oder die Kreuzung in Shibuya mit bis zu 15.000 Fußgängern pro Ampelphase
- Wenn du jemals dachtest, es wäre teuer - denk an das Essen für 50 Euro pro Gericht und Person
- Wenn du jemals das Nachtleben einer Stadt wäre abgefahren ...

Die Wucht der Ereignisse in diesen Tagen, die meine Körpertemperatur auf (die Stewardess) beunruhigende 35.4 Grad herunterwirtschafteten, ließen mir keine Wahl: Ich musste zurück, diesmal für länger.


Shibuya - Tokyos Szeneviertel

Zurück ins jetzt, zurück in den Alltag. IHI - was für ein Konzern. Aus Ishikawajima-Harima Heavy Industries wurde vor zwei Jahren die Kurzform, die auch den Fantastischen Vier nun gefallen würde. Als ich am ersten Tag, frisch eingekleidet in den hellblauen Overall mit Schirmmütze, durch die Produktpalette blättere, finde ich so ziemlich alles, was ein Ingenieur bauen kann - von Brücken über Autos, Raketen und Öltankern bis hin zu DVD-Playern: Willkommen im japanischen Mischkonzern.

"Jorn-San, Jorn-San! Food, food!" Donnert und ruft es an meiner Zimmertür. Ich reiße die Augen auf - es ist 7 Uhr morgens. "Scheiße - vergessen aus der Liste auszutragen...", es ist wieder Owaki-San. Er holt mich zum Frühstück. "Frühstück?", werden verzweifelte Zijing-Geschädigte nun fragen. Nein, es gibt hier keinen Fraß, hier wird dreimal täglich feinste japanische Hausmannskost aufgefahren, 5 Gänge inklusive, plus Reis. Ähnlich wie in Korea gibt es zwischen den Mahlzeiten außer der Uhrzeit eigentlich wenig Unterschiede...

Die bisherigen 11 Tage waren ermüdent (viel Arbeit, wenig Schlaf), aber total intensiv. Viele nette Leute, neu und bekannt, sorgen dafür dass es mir hier hervorragend geht. Ich fühle mich feist, obwohl cih eigentlich nur Gemüse und Fisch esse. Achja, und rohes Pferd. Aber davon später mehr.

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