Donnerstag, 20. August 2009

Sapa - zwischen den Extremen

"Als ich 10 Jahre alt war, sah ich zum ersten Mal einen weißen Touristen. Ich begann zu weinen, doch mein Vater wies mich an: 'Du sollst nicht weinen, wenn du einen Touristen siehst, denn wenn du weinst, werden sie dich mitnehmen und essen!' Also weinte ich nicht mehr. Aber Angst hatte ich trotzdem vor den Fremden."
Lang, 19 - Schwarze Hmong in Sapa
Als ich sie das erste Mal traf, spielte sie in einer Bar in Sapa Billard mit einer Hand - und besiegte mich trotzdem. Sie besitzt heute ein Handy - und knapp 300 "Freunde" auf Facebook. Wenn man sie am Telefon mit westlichen Touristen über geplante Trekking-Touren reden hört, hat man das Gefühl eine gemachte Unternehmerin vor sich zu haben. Dennoch, und das ist die andere Seite, kann sie sowohl Englisch als auch ihre eigenen Sprachen Hmong und Vietnamesisch weder vernünftig lesen noch schreiben. Ihre Eltern haben sie wiederholt gefragt, ob sie nicht einen Mann aus ihrem Dorf heiraten möchte, wie es für ein Mädchen ihren Alters schon überfällig wäre, doch sie zieht das Single-Leben in der "Stadt" Sapa vor. Sie möchte heiraten, wenn sie einen Mann findet, den sie wirklich liebt, und das kann gerne auch noch etwas dauern.

Mittlerweile hat das Mädchens nicht mehr Angst vor Westlern, sondern eher vor den eigenen und vietnamesischen Leuten.
"I fear that Vietnamese people will come and buy all the ground in our village, to build hotels and restaurants."
Bereits jetzt sind die vietnamesisch-kapitalistischen Einflüsse der Vietnamesen nicht mehr aus Sapa wegzudenken.

Lang verdient ihr Geld als Guide für Touristen, die sich für ihre Heimat interessiernen. Sie verdient gutes Geld, ca. 120 Dollar im Monat. Damit ist sie eine "gute Partie" in ihrem Ort, und bereits mehrere Männer haben ihr Interesse bekundet. Soweit, so gut. Doch läuft das Werben um eine Frau hier traditionell etwas anders ab. Wenn man eine Frau heiraten möchte, nimmt man sie mit Einverständnis ihrer Eltern, zur Not gegen ihren eigene Willen, mit zu sich nach Hause und regelt die Formalitäten. Wenn man den Widerstand der Frau soweit gebrochen hat (und dafür ist manchmal die Unterstützung von ein paar kräftigen Freunden nötig), ist sie in einer nahezu aussichtslosen Lage - sie kann nicht mehr nein sagen ohne im gesamten Ort ihr Gesicht/Ansehen zu verlieren. Von daher konzentrieren sich Langs Ängste derzeit auf die Männer, die sie, halb zurecht halb Paranoid, sich verfolgen sieht.

Befor wir Sapa verließen, gingen Lang und ich abens im Ort spazieren. Sie zeigte ständig auf irgendwelche Schatten - "Dieser Mann, er verfolgt mich!". Sie bat mich, sie nach Hause zu bringen. Als wir in ihrem kleinen, spartanischen Zimmer ankamen und die Tür hinter uns schließen, machte sie das Licht nicht an. Aus dem Fenster sah man deutlich, wie zwei junge Männer den Weg zum Haus heraufkamen und vor der Tür herumschlichen. Ich war lediglich hier, um ihr vernünftig Lebewohl zu sagen - doch wer weiß was sich diese Leute ausmalten. Angesichts der Unzurechenbarkeit, die ich Asiatischen Männern in solchen Situationen zuschreibe, hatte ich auch ein mulmiges Gefühl. Lang rief ihren Vetter an, der nebenan wohnt und die beiden mit ein paar harschen Worten vertrieb. Zurück blieb ein ungutes Gefühl, als ich mir den Weg zurück zu unserem Hotel durch die dunklen Gassen bahnte - und Mitleid mit dem Mädchen, die sich gefangen fühlt zwischen den extrem unterschiedlichen Einflüssen aus ihrer eigenen Kultur - und von "frei lebenden" westlichen Touristen wie uns.

Keine Kommentare: