Mittwoch, 19. August 2009

Sapa - auf abgelegenen Pfaden

Ein leises Geräusch weckt mich auf. Was ist das? Hab ich richtig gehört? Das quiecken eines Schweins hat meine Nachtruhe gestört. Ich merke, dass mir kalt ist. Mein dünner Seidenschlafsack ist mal wieder mehr Schein als Sein. Der Boden ist hart, nur ein dünne Decke trennt mich und den Holzboden. Rechts werde ich von Florian begrenzt, links von einem Kohlesack. Über mir windeln sich Spinnenweben, und während ich diese schweigend betrachte, schnellt mir eine Frage durch den Kopf, die ich mir im letzten Jahr häufiger gestellt habe: "Wo zum Teufel bin ich?"

Von Sapa - Trekking
Blick ins Wohnzimmer der Familie

Meine Gedanken gehen, auf der Suche nach der Antwort, zurück zum vergangenen Tag. Wie bereits berichtet, haben wir am Vortag ein Mädchen der Black Hmong angesprochen, ob wir mit ihr als Guide in der Umgebung Trekken gehen können. Sie hatte nicht nur zugesagt, vielmehr bot sie uns an, bei ihr in ihrem Heim zu übernachten. So brachen wir morgens zeitig auf und wanderten durch fabelhafte Landschaften, Reisfelder und Bergformationen. Gegen Mittag kamen wir in Xa Seng, ihrem Heimatdorf an. Der Ort selbst war eigentlich gar kein richtiger, eher eine Ansammlung von einzelnen Bauernhäusern. Da unser echter homestay (im Gegensatz zu denen in touristischen Neubauten) tendenziell illegal war, war uns die Abgeschiedenheit sehr recht. Auf dem Weg trafen wir noch zwei weitere Westler, in unserem Zielort waren wir schließlich gänzlich allein mit Thu (unserem Guide), ihrer Freundin, ihrem Mann und ihrer Familie.

Von Sapa - Trekking
"You have no water buffalos in Germany?!?" - Thu und zwei von den Biestern, die uns entgegen kommen

Ihr Mann? Ja, richtig. Obwohl sie erst 17 Jahre alt ist, ist sie bereits verheiratet, wie es üblich ist für die Bergvölker dieser Region. Sie ist mit 16 von ihren Eltern verheiratet worden; daraufhin zog sie zur Familie ihres ein Jahr älteren Mannes. Auf die Frage, ob sie ihren Mann mag antwortete sie "yes, a little bit." Einmal mehr wurde mir bewusst, welchen Wert die persönliche Freiheit in unseren Gesellschaften hat.

"Diese Black Hmong Frauen sehen aus wie Kriegerinnen!"
Paul
Den Nachmittag verbrachten wir in dem Ort Xa Seng selbst. Wie im Rest Vietnams waren die meisten Personen, die wir trafen, Kinder. Ein paar von ihnen haben wohl noch nie Westler gesehen, jedenfalls laut Thu.

Von Sapa - Wonderland
Unser Guide Thu (rechts) und eine Frau aus dem Dorf Xa Seng

Zumindest der Blitz von Daniels Kamera schien ihnen neu gewesen zu sein: Sie erschreckten sich merklich. Nach dem ausgiebigen Spaziergang kehrten wir "heim" in das Holzhaus der Familie. Wir trauten unseren Ohren nicht: Es lief Weihnachtsmusik. Auch wenn man es an diesem fernen Ort nicht vermutet hätte - die Leute sind Christen. Kein fließend Wasserm, eine Glühbirne und ein Fernseher, und Poster mit christlichen Darstellungen an der Wand.

"The meat we bought is finished. Maybe we should kill another chicken."
Thu, morgens vorm Frühstück

Den Abend verbrachten wir mit einem Abendessen, dass wir vom Markt mitgebracht hatten: Köstlicher frischer Kürbis, diverse gegarte Gemüsesorten und gut gewürztes Schweinefleisch. Die Sache wurde abgerundet von dem brennenden, selbsthergestellten Reisschnaps, der vornehmlich mit einem von Thu übersetzten "drink finish!" auf ex genossen wurde. Fieses Zeug. Um 8 Uhr ging die Familie schlafen. So auch wir - in unser Reich aus Kohle, Spinnen und Holzboden.

Von Sapa - Trekking
Kinder im Haus - und christliche Darstellungen an der Wand

Zurück mit den Gedanken in der Gegenwart. Da ich immer noch friere, entscheide ich mich zu einem gewagten Manöver: Leise stibitze ich, fern jeder Homophobie, meinem treuen Zimmernachbarn Flo ein Stück seiner wollig-warmen Decke - und werde dabei entdeckt. "Mir ist Scheißkalt", flüstere ich und mir wird stumm ein Stück zugestanden.

"Noch vor einem Jahr hätte keiner von uns hier zwischen den ganzen Spinnen schlafen können!"
Flo
Der Morgen begann früh, so wie der Abend geendet hatte. Nicht nur was die Uhrzeit betrifft, nein, sondern auch was den Reisschnaps angeht. Kaum die Augen offen, da lacht der Schwiegervater schon, mit einem frisch gelernten "Prost" auf den Lippen, und setzt an. Frisch gestärkt ging es dann auf den zweiten Teil der Wanderung nach Lau Chai. Die Täler waren mit Wolken gefüllt, die Gipfel von ebenjenen umgeben. Dazwischen bewegten wir uns auf schmalen Bergpfaden mit atemberaubender Aussicht. Was für ein Trip! Ein Gefühl von wahrer Dreidimensionalität und Weite.

Von Sapa - Trekking
Unsere Schlafstätte

Von unserem Zielort ging es zurück mit dem Motorrad. Hätte mich ein Chinese dabei beobachtet, er wäre wohl vor Neid in Ohnmacht gefallen: Ein Minoritäten-Sandwich auf zwei Rädern: Vorne der Schwiegervater, in der Mitte ich, hinten Thu, schleppte uns die 125er über die Serpentinen: Belustigung für jeden Passanten!

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